Berliner Mietendeckel
Der Mietendeckel ist gekippt. Wie begonnen, so verronnen. Das wäre eine passende Beschreibung der Geschichte des Mietendeckels Berlin. Vom Abgeordnetenhaus von Berlin am 30. Januar 2020 beschlossen, sollte der Berliner Mietendeckel die Begrenzung von Wohnraummieten ermöglichen. Angedacht waren Regelungen wie Mietenstopp, Mietobergrenzen, Mietabsenkungen und die Begrenzung der Modernisierungsumlage. Von Beginn an ist das Gesetz umstritten. Es beginnt eine Zeit der rechtlichen Unsicherheit. Viele Vermieter kommunizieren zwei Mietpreise – mit und ohne Mietendeckel.
Im Frühjahr 2021 entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht, dass der Berliner Mietendeckel mit dem Grundgesetz unvereinbar und das Berliner Gesetz nichtig ist. In Berlin ist wieder alles wie vor dem Mietendeckel. Hohe Mieten, die sogar weiter zu steigen drohen. Experten gehen davon aus, dass die Mieten in Berlin in diesem Jahr noch um 11 Prozent wachsen. Mieter, deren Miete mit der zweiten Stufe des Mietendeckels im November 2020 abgesenkt wurde, sind teilweise mit Rückforderungen der Vermieter konfrontiert.
Auch Mieter, die sogenannte Schattenmietverträge unterzeichnet haben, sollen die Differenz zwischen der Mietobergrenze und der vertraglich vereinbarten Miete zurückzahlen. Mit Sicher-Wohnen-Hilfen will Berlin nun Betroffene unterstützen, die die Forderungen nicht aus eigener Kraft begleichen werden.
Berliner Mietendeckel Demo
Die Berlinerinnen und Berliner werden voraussichtlich mit einem Volksentscheid im September über die Enteignung großer Immobilienunternehmen abstimmen. Die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat dafür in den vergangenen Monaten rund 350.000 Unterschriften gesammelt. Sie setzt sich dafür ein, Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu „vergesellschaften“, also gegen Entschädigung zu enteignen.
Berliner Mietendeckel – Als Familie in Charlottenburg
Der Tag von Sophia und Hannes Hofmeister ist durchgeplant. Schon am Morgen weiß jeder, was zu tun ist. Hannes bereitet das Frühstück, Sophia weckt etwas später ihre gemeinsame Tochter Anne-Marie. Dann fix was essen, sich fertig machen und schon startet die Familie in den Tag. Viel Zeit bleibt da nicht. Hannes fährt von der Wilmersdorfer Straße mit der S-Bahn ins Büro nach Mitte und Sophia bringt auf dem Weg zur Firma die 7-jährige Tochter in die Schule. Nach dem Mittag holt sie dann Anne-Marie wieder ab und verwandelt sich in eine Chauffeurin.
Abends, wenn Hannes mit ihnen am Tisch sitzt, kann das kleine Mädchen nicht aufhören, von ihrem Tag zu erzählen. Müde lächelnd nickt der Vater ihr zu. Das Ganze spielt sich in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in der Nähe der Kantstraße in Charlottenburg ab. Hier wohnen Sophia und Hannes schon seit neun Jahren. Kennengelernt haben sich die beiden beim Studium an der Freien Universität. Seit zehn Jahren sind sie ein Paar. Klar war, dass sie nach dem Abschluss in Berlin bleiben wollten. Selbstverständlich zentral wohnend.
Da bot sich damals diese Wohnung an. Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und sogar der kleine Raum als Arbeitszimmer für Sophias häufige Weiterbildungen. Dann kam Anne-Marie. Aus dem Paar wurde eine Familie, aus dem Arbeitszimmer das Kinderzimmer.
Vor einiger Zeit dann ein Brief der Hausverwaltung, die Wohnung der Hofmeisters sei vom Berliner Mietendeckel betroffen, in dem Schreiben wurden zwei Mietpreise angegeben – einmal mit und ohne Mietendeckel. Die Hofmeisters folgten jedoch vorher schon dem Rat von Freunden und Bekannten Rücklagen zu bilden, da es aufgrund des Mietendeckels zu Rückzahlungen kommen könnte.
Kulanz der Vermieter
Der Tag war gekommen, der Berliner Mietendeckel wurde gekippt und viele Mieter sind mit Rückzahlungen konfrontiert worden. Nicht so die Hofmeisters, ihr Vermieter verzichtet auf Mietnachforderungen. „Man wolle seine Mieterinnen und Mieter nicht in eine Situation bringen, ihre kompletten Einkommensverhältnisse offenlegen zu müssen“.
Stadt oder Stadtrand?
„Wir sollten doch überlegen, uns was Eigenes anzuschaffen, Jottwehdeh – janz weit draußen“. Überlegt Sophia Hofmeister. Hannes ist noch nicht völlig überzeugt, „Ich würde lieber in der Stadt bleiben wollen“. Aber vielleicht hat Sophia ja doch recht: „Besser eine Baufinanzierung für die eigenen vier Wände, dann wäre auch für Anne-Marie mehr Platz“.
Und vielleicht auch für …
Wohnen in Deutschland
Die Wohnumstände der Deutschen unterscheiden sich grundsätzlich von denen vieler anderer Europäer. Während zum Beispiel in Rumänien, der Slowakei und Ungarn die Wohneigentumsquote der Bevölkerung deutlich über 90 Prozent liegt, wohnen in Deutschland nur rund 47 Prozent der Menschen in den eigenen vier Wänden. Damit rangiert die Bundesrepublik vor der Schweiz auf dem vorletzten Platz in Europa. Zum Vergleich: In den USA beträgt die Wohneigentumsquote circa 63 Prozent.
Die rund 83 Millionen Einwohner Deutschlands leben in 42 Millionen Privat-Haushalten. Mehr als 40 Prozent davon sind Single-Haushalte. Der Wohnungsbestand in Deutschland beträgt 43 Millionen Wohnungen. Die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt ist also groß und verursacht in vielen Regionen Wohnungsmangel und steigende Mieten. Durchschnittlich zahlen Haushalte etwas mehr als ein Viertel ihres Nettoeinkommens für die Miete (bruttokalt). Bei Ein-Personen-Haushalten liegt die Mietbelastung sogar bei mehr als 30 Prozent.
Mieten in der Großstadt
Die Ballungsgebiete platzen aus allen Nähten, der ländliche Raum klagt über Schrumpfung. Diese Tendenz ist weiter ungebrochen. Aus der Provinz wandern Menschen ab, Wohnungen und Häuser stehen leer, Geschäfte geben auf, ja selbst die Sparkassen schließen Filialen. Viele Metropolregionen hingegen prosperieren; schaffen es kaum, den Zuzug zu verkraften. In der Folge wachsen die deutschen Großstädte überproportional. Vor allem junge Menschen zieht es in die Metropolen. In den Ballungsgebieten sinkt die Ø Wohnfläche pro Person.
Soziologen der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt haben die Einkommen mit dem Angebot an Mietwohnungen in Großstädten verglichen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Allein in Berlin fehlen 315.000 bezahlbare Wohnungen, bundesweit sind es fast drei Millionen. Besonders groß ist die Not im Segment kleiner Wohnungen für Ein-Personen-Haushalte.
Es fehlen rund 1,4 Millionen günstige Apartments unter 45 Quadratmetern. Kritisch ist die Lage vor allem in den Städten, in denen viele Einkommensschwache leben – zum Beispiel Berlin, Leipzig und Dresden – oder in denen das Mietniveau sehr hoch ist, wie in München, Stuttgart und Düsseldorf.
Wohnen in Berlin
Die Bevölkerung wuchs in der Hauptstadt in den letzten Jahren stark. 3.769.962 Einwohner hatten zum 31. Dezember 2020 ihren Hauptwohnsitz in Berlin. Vor zehn Jahren waren es noch fast 450.000 weniger. All diese Menschen brauchen eine Wohnung. Und der Wohnungsmarkt ist begrenzt.
Musste man im Jahre 2011 für eine 30-Qudratmeter-Wohnung in Berlin noch durchschnittlich 8,36 Euro Miete pro Quadratmeter bezahlen, sind es 2021 ca. 16 Euro bei Abschluss eines neuen Mietvertrages. Für eine 60-Quadratmeter-Wohnung zahlt man durchschnittlich 12,83 Euro pro Quadratmeter Miete. Der durchschnittliche Mietpreis bei einem 100-Quadratmeter-Haus zur Miete liegt aktuell bei 14,52 Euro Miete pro Quadratmeter. Dazu kommen noch die Nebenkosten und Betriebskosten.
Wohnen nach dem Berliner Mietendeckel
Die Mieten in den einzelnen Berliner Stadtbezirken unterscheiden sich stark. Relativ günstig kann man noch in Haselhorst mit 9,57 Euro pro Quadratmeter und Staaken mit 10,07 Euro pro Quadratmeter eine Wohnung mieten. Wer in Mitte, Marienfelde, Tiergarten oder Prenzlauer Berg wohnen will, sollte sich schon mal auf Quadratmeterpreise zwischen 17 und 20 Euro und einstellen.
Mietendeckel gekippt — und wie geht es weiter?
Die Nachfrage nach Wohnraum in Berlin ist ungebrochen. Es hilft nur Bauen. Bleibt zu hoffen, dass die öffentliche Hand nicht ihre Fehler wiederholt. Denn das Problem ist zu großen Teilen hausgemacht. Die Städte haben zu wenig am Wohnungsmarkt selbst getan. Darüber hinaus verkaufte der Senat seit der Wende fast 200.000 Wohnungen der städtischen Gesellschaften und hat somit den eigenen Handlungsspielraum stark eingeschränkt.